Karriereende nach 25 Jahren Stabhochsprung
Liebe Sportfreunde, liebe Fans, liebe Unterstützer, liebe Organisationen und Verbände,
ich möchte Euch heute mitteilen, dass ich nach 25 Jahren Stabhochsprung meine Karriere als Profisportlerin beende. Diese Entscheidung habe ich innerlich am 18.09.2023 für mich getroffen und möchte dies heute offiziell bekannt geben.
Am 18.09.1998 habe ich mit dem Stabhochsprung in Nördlingen angefangen. Bis zu diesem Tag war ich bereits als Turnerin, Tennisspielerin, Langstreckenläuferin, Triathletin und Skilangläuferin im Wettkampfsport aktiv. Bereits mit 7 Jahren habe ich meinen ersten 10km-Lauf gemacht. Ich lernte sehr früh kennen, was es bedeutet, sich auf Wettkämpfe vorzubereiten und an Wettkämpfen unter Adrenalin & Druck teilzunehmen.
Als Turnerin war ich damals mit 18 Jahren schon eine "Grand Dame" und immer eine der größten Athletinnen. Bei mir musste man sogar am Stufenbarren die Matten verschieben, damit ich mit meiner Körpergröße Riesenfelgen machen konnte. Mir waren solche Dinge immer ganz egal, weil ich die Bewegung liebte und sich dadurch bei mir Spaß an der Sportart entwickelte.
„Man weiß nie, wozu man fähig ist, bis man es probiert!"
Im Tennis bin ich auch ganz viel auf Turnieren in Bayern und deutschlandweit im Jugendbereich bis zu der U18 aktiv gewesen. Mein Vater träumte für mich unter anderem auch von einer Biathlon-Karriere. Egal bei welcher Sportart ich dabei war, es machte mir immer sehr viel Spaß und ich konnte das Team und die Mannschaft erfolgreich unterstützen oder im Einzelwettbewerb vordere Plätze erzielen.
So kam es dazu, dass ich eine Woche vor meinem 18. Geburtstag 1998 bei Lutz Peters, meinem ersten Stabhochsprung Heimtrainer in Nördlingen, mit dem Leichtathletik Training begann. Lutz investierte ganz viel private Zeit in das Training mit mir. Er hatte auch damals schon Kontakt zu unserem Frauen-Bundestrainer Herbert Czingon, von dem wir viel gelernt und übernommen haben. In meinem allerersten Jahr schaffte ich die 3,30 m Marke. Ein Jahr später die 4,00 m und im Jahr darauf, also in der Saison 2001, gelang mir der Sprung in die Weltspitze durch eine sensationelle Steigerung meiner damaligen Bestleistung von 4,00 m auf 4,50 m. Diese enorme Steigerung von 50 cm innerhalb eines Jahres hatte bis dahin keine andere Athletin weltweit vor mir geschafft.
Im September 2001 kam der große Umbruch: Ich habe meinen Job bei der Firma Eurocopter in Donauwörth gekündigt, meinen Lebensmittelpunkt nach Mainz verlagert, wechselte zu meinem ab dato langjährigen Verein, den USC Mainz, bin zu Herbert Czingon - mit Herbert habe ich bis 2007 trainiert - in die Trainingsgruppe und habe bei der Bundeswehr als Soldatin auf Zeit, zunächst einmal für zwei Jahre, angefangen. Im November und Dezember absolvierte ich in Kastellaun meine Grundausbildung in der Truppe. Das war zum damaligen Zeitpunkt die erste Grundausbildung, bei der Frauen in der normalen Truppe ihren Dienst leisteten. Vorher waren Frauen bei der Bundeswehr nur im Sanitätsdienst erlaubt. Auch wenn einige Tage dabei waren, die mir überhaupt nicht gefielen, stellte ich mich mit 21 Jahren der Herausforderung und der etwas anderen körperlichen & psychischen Belastung. Jahr für Jahr war mein Ziel, sportliche Leistungen zu bringen, damit ich um ein Jahr in der Sportfördergruppe verlängern konnte. Ich wusste immer erst Mitte September, ob ich Ende Oktober noch dabei bin. Druck, ja das war enormer Druck!
„Ich hatte nie das große Talent,
aber ich hatte ein unglaubliches Durchhaltevermögen und ganz viel Leidenschaft & Motivation."
Den Umzug von meiner Heimat Harburg in Bayern nach Mainz habe ich erstmal gut verkraftet. Lange habe ich jedoch nicht realisiert, dass ich alles, was ich mir bis zu meinem 20. Lebensjahr aufgebaut hatte und was meine psychische Stütze war, abrupt hinter mir gelassen habe: meine Turnfreunde, meine Tenniskollegen, meine Familie, meine Verwandtschaft und meine Freundschaften aus der Schule. So kam es, dass ich 2009 in ein mentales & psychisches Loch fiel und mein Körper drei Monate keinen Sport machen wollte.
Profisport bedeutet voll & ganz Profi
Durch die Bundeswehr war es mir möglich, jeden Tag zweimal zu trainieren. Ganz häufig trainierte ich zwei Stunden am Vormittag und zwei bis drei Stunden am Nachmittag. Der Tagesablauf sah so aus: aufstehen, frühstücken, trainieren, Mittagessen, Siesta machen, trainieren, Abendessen, schlafen und erholen für den nächsten Tag! Die 16 Jahre Bundeswehr (Soldatin auf Zeit) waren schön und ich bin auch sehr dankbar, diese Unterstützung gehabt zu haben.
Als ich nach Mainz und zum Profisport wechselte, dachte ich mir, dass ich mich gleich von 4,50 m auf 4,70 m weiter steigern werde. Aber es kamen zunächst einige Plateaus (2002 > 4,51 m und 2003 > 4,52 m), bevor es 2004 zu einer Saisonbestleistung von 4,66 m ging. In dieser guten Saison schaffte ich es auch, mich über den nationalen Titel bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig für meine ersten Olympischen Spiele zu qualifizieren. Im Jahr 2008 war ich bei meinen zweiten Olympischen Spielen dabei und habe für mich ein sensationelles Ergebnis als beste deutsche Stabhochspringerin mit einem 6. Platz geschafft. Erst ein paar Wochen später realisierte ich, wie ich unter Adrenalin im Finale über mich hinaus gewachsen bin, und dass im Stadion 90.000 Zuschauer mitgefiebert und Highlife gemacht haben.
Immer wieder stellte ich in meiner Karriere fest, dass maximale Leistung nur funktioniert, wenn man alles voll und ganz auf ein Ziel ausrichtet und sich zu 100% auf diese Sache konzentriert. Das war schon immer eine große Stärke von mir. Ich war nie die schnellste Sprinterin und auch nie die beste Abspringerin. Nein, ich war immer die, die mit ihrem unbändigen Willen, ihrer hohen Konzentrationsfähigkeit, ihrer Leidenschaft, ihrer Fokussierung und ihrem Glauben an sich selbst das Bestmögliche aus sich und ihrem Körper herausgeholt hat. Nach Rückschlägen, Verletzungen, Niederlagen & Misserfolgen bin ich immer wieder aufgestanden und habe mir neue Ziele gesetzt.
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei Andrei Tivontchik und Nastia Steinbeck (geb. Ryzih) bedanken, mit denen ich ganz viele Technikeinheiten absolviert habe. Auch gilt mein großer Dank Leszek Klima, der bei Wettkämpfen als Trainer immer für mich da war! Auch geht ein ganz großer Dank für die Unterstützung und den Support in vielen Belangen an meinen Verein, der TG Nieder-Ingelheim.
Von 2007 bis 2012 habe ich in Zweibrücken und Saarbrücken trainiert. Anfangs unter der Heimtrainertätigkeit von Andrei Tivontchik. Ab März 2008 übernahm ich die Heimtrainertätigkeit selbst. Auch wenn mich der ein oder andere für verrückt hielt. Herbert Czingon sagte mir damals, dass er keine Frau im Stabhochsprung kennt, die sich selbst trainiert. Das war mir egal, ich wollte das Heft in die Hand nehmen und für mich selbst entscheiden, was das Beste für mich ist! Es war eine große Herausforderung, verlangte mir natürlich auch Mut und viel Professionalität ab, aber es gab mir unheimlich viel innere Stärke.
„Wenn Du keinen starken Willen hast, wird ihn auch kein anderer für Dich haben. Wenn Du einen starken Willen hast, kann Dich keiner stoppen!"
Mit Nastia war ich 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking, beide waren wir damals als Athletinnen dort. Schon während unserer Karriere hatten wir einen sehr guten Draht zueinander und sind im In- & Ausland häufig zusammen auf Wettkämpfen unterwegs gewesen. Mal betreute mich auch ihr Vater auf einen Wettkampf, mal schauten wir gegenseitig nach unseren Absprungmarken. Das gehörte bei uns im Profisport dazu. Von Mai bis September waren wir 1-2x pro Woche auf Wettkämpfen unterwegs, um das Gelernte auf Wettkämpfen umzusetzen und zu zeigen. 2018 hat mich Nastia als Trainerin im Finale der Europameisterschaft in Berlin betreut. Das war aus der Not gewachsen. Seitdem haben wir uns unregelmäßig immer wieder mal zu Stabhochsprung-Trainingseinheiten in Frankfurt getroffen. Stabhochspringen ist nicht wie laufen, einfach Schuhe an und los rennen. Nein, im Stabhochsprung gehört viel mehr dazu. Du musst deine Füße stark machen, deinen Schultergürtel gut trainiert haben, die Anlauflänge muss passen, die Stabhärte muss richtig sein und der Lattenabstand muss zu deinem Aufrollen und dem Stabhochsprungstab passen - eine extrem komplexe Sportart, die dem Körper alles abverlangt. Nur wer topfit und mental stark ist, wird oben ankommen.
Internationale Meisterschaften Outdoor
- OS: 2004 Athen - 2008 Peking
- WM: 2001 Edmonton - 2003 Paris - 2007 Osaka - 2013 Moskau
- EM: 2002 München - 2005 Helsinki - 2010 Barcelona - 2014 Zürich - 2018 Berlin
- EC 2005 Florenz
Zu meinen größten Erfolgen im Stabhochsprung zähle ich u.a.:
- als Newcomerin im dritten Jahr Stabhochsprung auf 4,50 m in die Weltspitze zu springen
- Platz 4 bei den Hallen-Europameisterschaften 2005 in Madrid
- Vize-Titel beim Europa-Cup 2005 in Florenz für Deutschland erreicht zu haben
- Deutscher Hallenrekord 2007 in Ludwigshafen mit 4,71 m zu meistern
- Olympische Spiele 2008 in Peking mit dem 6. Platz als beste Deutsche Athletin geschafft zu haben
- meine persönliche Bestleistung 2010 mit 4,72 m in Biberach an der Riss gesprungen zu sein
- mit 38 Jahren den 9.Platz bei den Europameisterschaften 2018 in Berlin erzielt zu haben
- 14 Jahre in Folge von 2001 - 2014 eine Jahresbestmarke von 4,50 m oder höher zu springen
Auch zähle ich dazu, dass ich 2016, im Alter von 36 Jahren, eine Knie-Operation hatte, 2017 noch nicht springen konnte und finally im Jahr 2018 bei der Europameisterschaft in Berlin (nach 2002 - also 16 Jahre später) wieder bei einer Heim-EM dabei und als beste deutsche Stabhochspringerin im Finale war.
Es war eine sehr harte & intensive Zeit. Ich möchte keinen Tag davon missen!
Als Leistungsturnerin hatte ich, was das Erlernen neuer Bewegungsabläufe anbelangt, die idealen Voraussetzungen für den Stabhochsprung. Der Oberkörper war schon vom Turnen ziemlich stark auftrainiert. Aber meine Füße, mein Rücken und meine Beinmuskulatur waren schwach.
Durch die Umstellung von einer Turnerin zu einer Leichtathletin gab es erstmal viele Schwierigkeiten, Überlastungen, Verletzungen und sogar 2001 eine Operation. Immer, wenn ich verletzt war, habe ich einen Weg gesucht, wie und was ich trotzdem noch trainieren konnte. Deshalb war und ist meine gute Fitness immer eine meiner Stärken gewesen. Sonst hätte ich es nie geschafft, mit 38 Jahren mich für die Europameisterschaften 2018 in Berlin zu qualifizieren und ins Finale zu springen.
Mit 32 Jahren wollte ich planmäßig aufhören. Ich war aber top fit und es gab für mich keinen Grund, den Sport an den Nagel zu hängen. Also machte ich Jahr für Jahr weiter. Seitdem habe ich mich immer wieder gefragt, wann ich aufhöre. Mir machte das Springen nach wie vor sehr viel Freude. Den perfekten Zeitpunkt für´s "Aufhören" gibt es wohl nicht. Aber jetzt ist für mich der richtige Zeitpunkt gekommen.
Meine berufliche Zukunft
Seit 2013 habe ich meine freiberufliche Tätigkeit als Personal Trainerin, Lauf-Coach, Fitnesstrainerin, Sportmental Coach und Referentin für Gesundheitstage, Vorträge & Seminare und Fortbildungen aufgebaut. Nach nun mehr 23 Jahren Profisport und 10 Jahren Selbstständigkeit werde ich mich ab sofort voll und ganz auf meine berufliche Zukunft ohne den Profisport konzentrieren. Ich möchte das weitergeben, was mich nach vorne gebracht und aus allen Tälern herausgeholt hat.
Ich bin kein Fan von Übersprungshandlungen und Kurzschlussentscheidungen. Wenn ich was mache, dann mit ganzem Herzen und mit all meinen Kräften, ganzer Energie und Enthusiasmus. Als ich an meinem Geburtstag im September 2023 realisierte, dass ich mich nun 25 Jahre hoch intensiv dem Stabhochsprung gewidmet habe, kam der ernsthafte Gedanke aufzuhören eingeflogen. Nachdem ich ein paar Tage später festgestellte, dass ich seit 10 Jahren die Doppelbelastung "Profisport & Selbstständigkeit aufbauen" fahre, dachte ich mir "jetzt ist der ideale Zeitpunkt". Zu guter Letzt hat mir der DLV am Tag vor meiner Abreise nach Kössen noch die Urkunde "World Record" der W40-W44 mit übersprungenen 4,15 m zukommen lassen. Dann wusste ich es genau: Jetzt ist der Zeitpunkt DANKE zu sagen und mit Stolz, vielen schönen Erinnerungen, unglaublichen Erfahrungen von der Bühne im Stabhochsprung abzutreten. Danke auch an meinen Körper, der über so viele Jahre die hohen sportlichen Intensitäten mitgemacht hat.
Profisport heißt sich ganz und komplett einer Sache zu widmen. Nachhaltigkeit heißt, das zu reproduzieren, was man schon erreicht hat und noch auszubauen. Sowohl auf körperlicher, mentaler und psychischer Ebene. Dazu gehört viel Disziplin, viel Entbehrung, viel Akribie & Professionalität, eine große mentale Stärke, unglaublich viel Enthusiasmus und Leidenschaft und jede Menge Investition von Zeit und Geld.
Es ist Zeit, dass sich was dreht!
Meine Entscheidung ist gereift. Sie steht, sie fühlt sich für mich gut und kongruent an. Es wird natürlich auch ein bisschen Verarbeitungszeit brauchen, aber es gibt keinen besseren Moment dafür, nach so vielen intensiven Jahren und Erfolgen jetzt "Goodbye" zu sagen. Ich freue mich sehr auf meine Karriere nach der Karriere und mich mental, geistig und körperlich meinen Vorträgen, Seminaren und anderen schönen Aufgaben widmen zu können. Jetzt werde ich mich voll und ganz auf meine Selbständigkeit konzentrieren und Engagements zu Kongressen, Tagungen und Incentives deutschlandweit, in Österreich und auch der Schweiz annehmen. Ich freue mich sehr auf diese erweiterte berufliche Ausrichtung und darauf, meinen Kunden & Klienten mit noch mehr Zeit zur Verfügung zu stehen.
Ich liebe den Sport und ich werde Euch auch weiterhin mit voller Energie, Leidenschaft und Begeisterung entertainen, motivieren und mein sportverrücktes Leben mit Euch teilen.
Ganz herzliche & sportliche Grüße
Eure Carolin